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Der Stall
König Adventus lebte schon seit vielen Jahren froh und glücklich in
seinem Königreich Adventinien. Er liebte es, mit seiner Krone auf dem
Kopf durch sein Schloss zu stolzieren und sich bewundern zu lassen. Bei
seinem Volk war er beliebt, denn in Adventinien gab es nur wenig
Steuern, dafür aber viele Feiertage. Auch seine Ministerinnen und
Minister wären völlig zufrieden gewesen, wenn der König in der Advents-
und Weihnachtszeit nicht so eigensinnige Wünsche gehabt hätte. Jedes
Jahr kamen ihm irgendwelche verrückte Ideen:
Einmal wollte er einen Adventskranz, der so riesengroß sein sollte, dass
er rund um das ganze Schloss ging. Mehrere Wochen mussten die
königlichen Waldarbeiter und Gärtner Tannenzweige herbeischleppen und zu
einem Kranz binden. Die Kerzen waren mächtig wie Baumstämme, und die
Dochte waren so dick wie Schiffstaue. In einem anderen Jahr hatte er
sich in den Kopf gesetzt, alle 2424 Tannenbäume im königlichen Wald
sollten zu Weihnachtsbäumen werden. So blieb den Dienerinnen und Dienern
im Schloss nichts anderes übrig, als unzählige Sterne und
Weihnachtskugeln zu basteln und Tausende von Kerzen zu kaufen. Im Jahr
darauf wollte der König einen riesigen Adventskalender haben, in dem
richtige Menschen saßen. Wenn man die Türen öffnete, mussten sie für
Adventus singen, spielen, tanzen oder Gedichte aufsagen. „Was wird ihm
wohl dieses Jahr wieder einfallen?“, stöhnten die Minister.
„Am Ende sollen wir ein neues Königsschloss aus Lebkuchen und Marzipan
für ihn bauen!“ Aber in diesem Jahr kam alles ganz anders. Der Advent
hatte begonnen und kein außergewöhnlicher Befehl war zu hören. Es gab
einen kleinen Adventskranz und einen gewöhnlichen Adventskalender,
gefüllt mit hübschen Bildern und Schokolade. Die königliche Köchin
produzierte die übliche Menge an königlichen Adventsplätzchen und
Pfefferkuchenhäusern. Keiner wagte den König auf das Thema „Weihnachten“
anzusprechen, bis es schließlich der oberste Minister nicht mehr
aushielt, zum König ging und fragte: „Eure Majestät, habt Ihr denn
keinen besonderen Wunsch für dieses Weihnachtsfest?“
Adventus überlegte kurz und antwortete: „Na, wenn Ihr mich so fragt,
dann erzählt mir bitte am Heiligen Abend die Weihnachtsgeschichte, die
echte, so wie sie mir meine Mutter erzählt hat, als ich noch klein war!“
„Das kann doch wirklich nicht so schwer sein!“, dachte sich der oberste
Minister. „Die Weihnachtsgeschichte kennt man doch. Die hat jeder
irgendwann einmal gehört.“ Aber das war ein Irrtum. Er fragte seine
Kollegen, den Post- und Verkehrsminister und alle anderen Ministerinnen
und Minister. Es kamen auch jede Menge Geschichten zu Tage - aber welche
davon war denn die echte Weihnachtsgeschichte?
„Lieber Herr König Adventus,“ flüsterte der oberste Minister etwas
verlegen. „Wir haben da ein kleines Problem! Wir kennen viele
Weihnachtsgeschichten, aber niemand weiß, welches die echte ist! Könnten
Sie uns vielleicht sagen, welche Erzählung Sie meinen?“. Nun mussten die
Ministerinnen und Minister einer nach dem andern vor den König treten
und ihre Weihnachtsgeschichten vortragen.
Der Reiseminister fing an: „Ganz weit oben im schneebedeckten Norden,
zwischen all seinen Rentieren lebte der Weihnachtsmann ...“. -
„Weihnachtsmann“, unterbrach König Adventus, „Weih-nachts-mann! Der
kommt in der richtigen Weihnachtsgeschichte überhaupt nicht vor! Den
haben sich einige Leute nur ausgedacht. Davon will ich nichts hören.
Erzählt mir bitte die richtige Weihnachtsgeschichte, die echte!“
Die Wald- und Wiesenministerin begann ganz salbungsvoll mit der
Überschrift: „Weihnachtsbaum“. - „Du brauchst gar nicht erst damit
anzufangen! Ein Weihnachtsbaum ist zwar sehr schön. Den wollen wir auch
schmücken, aber er gehört nicht in die Weihnachtsgeschichte. Da hat er
überhaupt nichts zu suchen!“
Als der Postminister etwas über den „Weihnachtsbrief“ oder das
„Weihnachtspaket“ erzählen wollte, wurde Adventus richtig zornig: „Kennt
denn keiner mehr in meinem Reich die richtige Weihnachtsgeschichte? Eine
Schande ist das!“ Auch für die Geschichten vom „Weihnachtskuchen“, vom
„Weihnachtszug“, vom „Weihnachtsbratapfel“, von den „Weihnachtsschuhen“
und von den „Weihnachtsheinzelmännchen“ interessierte sich der König
überhaupt nicht.
Plötzlich gab es im Hof ein fürchterliches Geschrei. Die Köchin
schimpfte mit der Küchenmagd und dem Laufburschen: „Du dummer Ochse! Du
blöde Eselin! Ihr seid schon wieder zu spät zur Arbeit gekommen! Wir
haben noch so viel zu tun vor dem Fest. Schon dreieinhalb Minuten warte
ich auf euch. Wenn das so weitergeht, dann lass ich euch diese Nacht im
Stall übernachten bei Ochs und Esel!
Das hörte der König und rief hocherfreut; „Ja! Das ist es! Ein Stall!
Ein Stall! Der kommt in der Geschichte vor! Ein Ochse und ein Esel, die
dürfen von mir aus auch dabei sein. Das habe ich auf alten Bildern
gesehen! Erzählt mir die Weihnachtsgeschichte, in der ein Stall
vorkommt! - Das ist die richtige!“
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